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In Keilen zu schreiben ist tatsächlich sehr viel einfacher als es aussieht. Und Spaß bereitet es obendrein! In den Schreiberschulen Mesopotamiens lernten bereits Fünfjährige das Schreiben. Also rasch an die Arbeit!
Du brauchst nichts weiter als frischen Ton und einen Stift, der im Ton Kanten, Winkel oder Ecken eindrücken kann. Tatsächlich ist der Eindruck im Ton ein polyedrischer Kegel, wobei die Winkel der Kanten an der Spitze die Breite der entstehenden Keile bestimmen (Abb. 1).
Nimm anfangs gebräuchliche Essstäbchen. Damit schaffst du bemerkenswert genaue Winkel und Keile. Willst du allerdings ganz präzise wie ein altorientalischer Schreiber arbeiten, dann besorge Schilfrohr und schneide deinen Stylus nach der Anweisung.
Im alten Mesopotamien waren besonders zwei Schilfarten weit verbreitet: Phragmites australis, das noch heute in berühmten Sümpfen im Südirak wuchert, und Arundo donax, das Pfahlrohr, (Abb. 2). Nur das Pfahlrohr eignet sich für Schreibgriffel. Diese Pflanze ist ursprünglich im Mittelmeerraum beheimatet, breitete sich im Lauf der Zeit aber auch in den milden gemäßigten, subtropischen und tropischen Regionen beider Hemisphären aus. Lebst du also in einem Land wie der Türkei, dem Irak, Spanien oder den USA, wird leicht sein, einen Halm zu bekommen. Ansonsten fragst du vielleicht im botanischen Garten deiner Stadt nach oder verwendest vielleicht Bambus, der allerdings deutlich schwieriger zu schneiden ist.
Wenn du Originaltafeln genau betrachtest, siehst du, dass die damaligen Schreiber den Griffel so hielten, dass die Stirnfläche des Griffels, die aus der glänzenden Außenhaut des Schilfrohrs bestehet, die glatte, leicht gewölbte rechte Seite des Keils ergibt. Die linke Seite des Keils entsteht dagegen durch jene Fläche des Griffels, die dem abgeschnittenen inneren Teil des Stiels entspricht (Abb. 3). Ganz offenbar wollte man die Qualität der nicht klebenden Haut des Rohrs, die wasserfest ist, optimal nutzen. Die rechte Seite des Keils ist tatsächlich größer als die anderen.
Schilfrohr kannst du auf unterschiedliche Arten zuschneiden. Du solltest aber daran denken, dass die Schreiber in Mesopotamien nur bestimmte Ecken des Griffels zum Schreiben verwendeten (Abb. 4).
Erstes Augenmerk liegt darauf, dass der Stift so in den feuchten Ton fällt, dass seine gekrümmte Fläche die rechte Seite des Keils ergibt (Abb. 5). Die Breite (oder „Öffnungswinkel“) der entstehenden Keile bestimmst du durch den Winkel, in dem du den Stiel schneidest. „Korrekte“ oder „unkorrekte“ Winkel gibt es nicht, denn dieses Merkmal variierte in den verschiedenen Epochen und Schreibtraditionen des Alten Orients.
Forme eine Tontafel oder knete einen Pizzateig – einerlei – am besten folgst du diesem sumerischen Rezept, das seit 4000 Jahren taugt:
„Schnell, komm her, nimm den Ton, knete ihn, klopfe ihn platt, mische ihn, rolle ihn wie eine Kugel, mache ihn dick, forme die Tafel!“
Die innere Struktur einer Tafel gibt mitunter den Prozess der Entstehung preis, der aus unterschiedlichem Falten, Rollen und Schlagen der Tonblätter resultiert, ähnlich wie bei der Zubereitung von Blätterteig. Je nach dem verfügbaren Rohmaterial unterschied sich die Qualität des Tons für die Tafeln in der Antike, er variierte in der Art der Verarbeitung und auch in Bezug auf die Textgattung. Tafeln administrativen und ephemeren Charakters sind oft aus grobem Ton, während feinerer Ton z.B. verwendet wurde für Tafeln, die für die königliche Bibliothek bestimmt waren. Je nach Genre und Schrifttradition variierte auch die Form der Tafeln sehr stark. Schuljungen bildeten üblicherweise kleine, linsenförmige Tafeln, so genannte „Linsentafeln“, die in der Handfläche gehalten werden und sehr gut zum Üben geeignet sind (Abb. 6).
Nun endlich: Starte dein Schreiben! Nichts anderes als dies: Drücke die Ecke des Stiftes in den feuchten Ton. Jeder Eindruck hinterlässt einen separaten Keil. Kombiniere einzelne Keile, experimentiere.
Man unterscheidet drei Arten von Keilen: vertikale, horizontale und schräge Keile. Daneben stellt der Winkelhaken den Kopf eines schrägen Keils dar. Wenn du von einem Typ zu einem anderen zu wechseln und die Länge des Keils bestimmen willst, must du die Ausrichtung des Stifts zur Tafel variieren. Auch der Winkel, in dem der Stift auf die Oberfläche trifft, kann sich ändern. Die Hauptkante des Stiftes, die in den Ton drückt, entspricht immer der Hauptachse des Keils, d.h. der Stift muss um 90° gedreht werden, wenn du von einem vertikalen zu einem horizontalen Keil übergehst und umgekehrt.
Die alten Schreiber übten nach einem bestimmten Lehrplan: Zeile für Zeile Vertikale, Horizontale, Winkelhaken, immer und immer wieder. Diese Methode hat sich bewährt, sie ist perfekt auch für dich. Dann erst stürzt du dich auf die richtigen Zeichen.
Wer nicht vertraut ist mit der Komplexität assyriologischer Sillabarien, die bis zu Tausende von Zeichen beinhalten, wird es nützlich finden, sich einfache Diagramme ausgewählter Zeichen anzusehen, die nach seiner eigenen alphabetischen Reihenfolge geordnet sind (Abb. 7). Zeichentafeln nach dem lateinischen und arabischen Alphabet geordnet können hier heruntergeladen werden; andere sind z.B. bei dieser Webseite verfügbar (C. Michel), oder auf Seiten 102-103 des Buchs Cuneiform von I. Finkel & J. Taylor.
Wunderbare Einführungen und Tutorials findest du auch auf YouTube. Zu meinen Favoriten gehören „Irving Finkel Teaches Us Cuneiform“ (mit Irving Finkel, ehemaligem Kurator der Keilschrifttafel-Sammlung am British Museum) und „Scribes in Mesopotamia“ von Theo van den Hout vom Oriental Institute, Chicago.
Schon ein wenig Übung reicht aus und du wirst täuschend echte Tafeln herstellen, wie vorbildlich dargestellt von Jeremiah Peterson, „keramischer Kalligraph“ (Abb. 8).
... Viel Spaß!